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Dämonen bezwingen

Constanza Macras/ Dorky Park zeigen „The Visitors“ in der Volksbühne

Stücke von Constanza Macras haben immer etwas von einer Wundertüte: Man weiß, dass gleich eine kühne, manchmal wahnwitzige Melange an Ideen und Stilmitteln die Bühne stürmen wird. Aber wie sich die argentinische Choreografin ein konkretes Thema vornimmt und dann ausrollt, ist stets aufs Neue eine Überraschung. Ihre jüngste Produktion „The Visitors“, die im Juni als Gastspiel in der Volksbühne zu sehen war, schlägt einen Bogen von der Welt der Slasher-Horrorfilme zu südafrikanischer Gesellschaftskritik. Klingt wild und ist es auch!

 

Mit dabei sind viele der südafrikanischen Kinder und Jugendlichen, mit denen sie schon 2018 das Stück „Hillbrowfication“ erarbeitet hatte. Der Johannesburger Stadtteil Hillbrow zeigt wie kein anderer die Verwerfungslinien der jüngeren Geschichte Südafrikas. Während der Apartheit lebte in der Gegend um den Ponte-Tower die weiße Oberschicht, später entwickelte sich der 173 Meter hohe Turm zum vertikalen Slum und No-Go-Area, in dem Bandenkriminalität gedieh. In „Hillbrowfication“ vertanzten junge Menschen, die in dieser Gemengelage aufgewachsen sind, ihre Utopien und Träume. Was ursprünglich als Empowerment-Idee startete, wurde zum erfolgreichen Tanzstück mit Aufführungen auf der ganzen Welt.

 

Der berüchtigte Ponte-Tower gehört auch im neuen Stück zur Szenerie: Als bühnenhohe Stoffattrappe rahmt er das Treiben von „The Visitors“. Aber wer sind sie nun eigentlich, die Besucher? Wie in jedem guten Horrorfilm versteckt sich das Böse erst mal hinter einer Maske. Man merkt schnell: Die Kinder und Jugendlichen sind in dieser Zwischenwelt allein. „The past will come back and haunt you”, geistert als Topos durch das Genre der Slasher-Filme, in dem Teenager von einem blutrünstigen Killer bedroht werden. Die Eltern sind in der Regel keine Hilfe, weil abwesend.

 

Beim Stichwort „Monster“ in der südafrikanischen Vergangenheit drängt sich fast automatisch der Gedanke an postkoloniale Altlasten auf: soziale Ungleichheit, Rassismus, Vertreibung, Willkür-Bürokratie, Korruption. All das schwebt als thematische Wolke im Raum, wenn die 20 Performer:innen interagieren. Und wie sie interagieren! Da wird in einem Spiegelkabinett ein grotesker Messerkampf geliefert (Achtung: Triggerwarnung, dank Slapstick-Anflügen entschärft die sich aber von selbst). Da werden Adele-Songs zu Anti-Bürokratie-Hymnen verwurstet oder eine Modenschau aufs Parkett gelegt, bei der die Klamotten so alltagsspiegelnde Namen tragen wie „absent father“, „missed chances“ oder „blackout“.

 

Wie sooft bei Macras gibt es keine lineare Erzählung, sondern eine temporeiche Aneinanderreihung von Szenen, in denen sich – und das ist ihre Kunst – das Ernste und das Heitere auf dramaturgisch ausgefuchste Weise die Hand geben. Dass bei der thematischen Komplexität einige Anspielungen und Verweise mitunter unscharf bleiben, verzeiht man dem Stück gern. Mit einem furiosen Finale geht dieser Tanzabend zu Ende: zehn Minuten ungebändigte, anbrandende Energie, die selbst die gute alte Volksbühne wohl selten so erlebt hat. Chapeau!

 

Text: Annett Jaensch