Die Batsheva Dance Company zeigt „Momo“ im Haus der Berliner Festspiele

Als wären Abstoßungskräfte am Werk: Atome, die sich auf engstem Raum begegnen und doch voneinander wegstreben. So wirken die zwei Gruppen, die in „Momo“ die Bühne entern. Zum einen ist da ein Vierertrupp an Männern, nackte Oberkörper, Militärhosen. Mal zelebrieren sie synchronen Marschierdrill, dann wieder zeigen sie jungenhafte Verbrüderungsgesten. Als Kontrapunkt zu diesem testosteronschwangeren Energiefeld schwärmen sieben weitere Tänzer und Tänzerinnen aus. Diese Gruppe in knappen, goldglänzenden Outfits wirkt, als wäre sie direkt einer queer urbanen Community entsprungen. Und alle scheinen einem eigenen Bewegungsidiom zu folgen, nachdenklich-versunkene Gesten sind genauso dabei wie exaltierte.
Flirrende, hedonistische Individualität trifft stromlinienförmige Maskulinität? Ist das die Formel, nach der Ohad Naharin die Arbeit aus dem Jahr 2022 gestrickt hat? So einfach macht es sich der erfahrene Choreograf, der fast 30 Jahre lang künstlerischer Leiter der Batshava Dance Company war, natürlich nicht. Blitzt Klischeehaftes auf, wird es an anderer Stelle auch wieder gebrochen, etwa wenn die Testosteron-Boys plötzlich fragile Momente zeigen.
Ohad Naharin hat Batsheva-Stücken – neben dem unverkennbaren Gaga-Stil – ein weiteres Markenzeichen verpasst, nämlich das Geflecht aus Tanz, Musik und Licht thematisch so durchlässig zu halten, dass genau dieses Spiel mit der Bedeutungsoffenheit seinen Reiz entfalten kann. In Sachen Atmosphäre sticht bei „Momo“ zudem ein Element besonders hervor: die musikalische Grundierung. Die Streicher- und Klavierklänge von Laurie Anderson und Philip Glass umhüllen die 70 Minuten mit einer melancholischen, fast schon elegischen Note.

Szene aus „Momo“: Collagen der Vereinzelung, Foto: Ascaf
Was bleibt als Eindruck von diesem Tanzabend? Wie hallt das Gezeigte nach? „Momo“ ist ein Stück, das auf sehr zurückgenommene, nachdenkliche Art und Weise einkreisen will, was das gesellschaftliche Miteinander heutzutage so herausfordernd macht. Wenn selbst Gruppenszenen wie Collagen der Vereinzelung wirken, dann stellt sich die Frage: Wo ist er hin, der Kitt, der alles zusammenhält? Diese Ebene der Interpretation wird über das ganze Stück hinweg in Schwingung versetzt. Gleichzeitig bietet „Momo“ aber auch visuelle Chiffren, die sich konkret auf Israel münzen ließen, wenn man diesen kulturellen Filter ansetzen wollte. Etwa die riesige Mauer im Hintergrund, an der die Tänzer und Tänzerinnen am Ende entlangklettern und schließlich aus dem Sichtfeld verschwinden. Das alles bleibt im Rahmen zarter Anspielungen, politische Botschaften versendet „Momo“ jedenfalls nicht, eher soziologisch-seismografische Reflexionen. Dennoch scheint Kunst aus Israel im Jahr 2025 nur noch unter Polizeischutz präsentiert werden zu können. Geschehen im Zusammenhang mit Protesten am ersten Vorstellungsabend: eine traurige Fußnote des Batsheva-Gastspiels in Berlin.
Text: Annett Jaensch